Ja unglaublich, eine andere Art Ausstellung von Thomas Hirschhorn in der sich gerade neu erfindenden Villa Stuck in München. Absolut beeindruckende Kunst, eine wirkliche Erfahrung, die sich, da der Eintritt kostenlos ist, auch beliebig oft wiederholen lässt.
Vom perfekten Aussen des Gebäudes hinein in das Chaos einer Ruine – die Räume vollständig ausfüllend, zweistöckig! Bei meinem ersten Besuch das Gefühl des ungläubigen Staunens, des Zuviels an Freiraum, der Vorsicht, der Berührung einzelner Bauteile. Hier kann alles angefasst werden, nichts kann kaputtgehen beim Tun… alles ist bereits zerstört, von Anfang an: Klebebändernester hängen von den Decken, aus Karton gebaute Stahlträger, Kabel, Kronleuchter, Holzflächen, Wände aus Styropor, Keramik-Badezimmermöbel, Sitzmöbel verpackt in Paketklebebänder. In wochenlanger Arbeit hat der Künstler mit Hilfe der Studierenden der Bildhauerklasse der Akademie der Bildenden Künste und mit Unmengen von Kartonagen dieses Ruinenchaos hergestellt – selbst die Wände der Ausstellungsräume und die Fenster sind meist überklebt. Kann also nichts passieren!? Oder soll hier was passieren? Ist das Kriegsgebiet hier? Erwarten mich in manchen Ecken gewalttätige Bilder? Abgründe? Neuland – ganz sicher! Spurensuche. Los.
Echte, kindliche Freude über die Möglichkeiten des Ausdrucks. Es gibt aus Folie, Holzlatten und Klebebändern geschaffene Unterstände in denen jeder Besucher sehr viele Materialien zur Produktion eigener Kunst finden kann. Jeder soll kann darf mitmachen, immer wieder kommen und seinen Ideen Ausdruck verleihen. Anarchy in the VS!
Okay… was will ich wie verändern, dazutun, ausprobieren, erschaffen, zerstören, verbinden, für mich behalten, allen anderen zugänglich machen, wegnehmen – ziemlich unendliche Möglichkeiten – das ist selten leicht – und generiert bei mir ein eher vorsichtiges Herantasten an Freiheiten und ein zunehmendes Loslassen der Konventionen die sonst meist in Kunstausstellungen herrschen. Tatsächlich, in den Ruinen hinter den Unterständen sehe ich bei meinen folgenden Besuchen den meisten Mut an den Wänden; so als ob die relative Uneinsehbarkeit dieser abgeteilten Räume hinter den Einbauten eine Einladung zu noch mehr Versuchsrisiko ist.
A propos Einladung: Am Eröffnungsabend ein wirklich gemischtes Publikum, viele Kunstschaffende (beschäftigt im Dialog, dem Herstellen ihrer Antworten auf diese Ausstellung), Kunstbegeisterte, möglicherweise obdachlose Menschen und zufällig Vorbeikommende. Diese Ausstellung ist kostenlos, der Katalog ebenso, folglich ist sie wirklich für alle. Folglich ist der erhabene Gedanke der Villa Stuck momentan auch dem Chaos gewichen.
Die Ausstellung von Thomas Hirschhorn unterliegt der stetigen Veränderung; die Möglichkeit der Veränderung an sich ist Programm. Keine Starrheit, keine andächtige Stille, kein handlungsloses Staunen.
Meine Neugier wurde extrem geweckt; nach der langen Nacht der Münchner Museen musste ich sofort wieder hingehen um selbst zu sehen ob diese Ausstellung noch steht… denn: Never Give Up The Spot… aha, der Ort ist ja jetzt auch mein Ort… ! Sich täglich veränderndes Chaos. Obwohl – ein Freund hatte das Bedürfnis dort Ordnung zu schaffen, folglich leerten wir ein Regal, fegten es sauber, stellten farblich geordnete Bücher auf und werden demnächst nachsehen was inzwischen daraus geworden ist.
Die Ausstellung findet noch bis zum 3. Februar 2019 statt.